Gleichstellung vs. Bevormundung: Die kontroverse Debatte um das Gendern

Kaum ein Thema spaltet die deutsche Gesellschaft so sehr wie „Geschlechtergerechte Sprache“, bzw. „Gendern“. Während Befürworter den Vorgang als längst überfälligen Schritt zur sprachlichen Gleichberechtigung feiern, sehen Kritiker darin eine unnötige Verkomplizierung der Sprache oder gar eine Form der Bevormundung. Die Diskussion ist sehr oft emotional aufgeladen und reicht von begeisterter Zustimmung bis hin zu vehementer Ablehnung. Letztere äussert sich in manchen Fällen sogar in Verboten, Hass und Verachtung.

Um die Wurzeln dieser Kontroverse zu verstehen, lohnt es sich, einen tieferen Blick auf das Konzept des Genderns zu werfen. Was steckt hinter dieser sprachlichen Praxis, und warum löst sie so heftige Reaktionen aus?

Was bedeutet „Gendern“?

Gendern bezeichnet den bewussten Versuch, alle Geschlechter in der Sprache gleichberechtigt zu repräsentieren und sichtbar zu machen. Es ist ein linguistischer Ansatz, der darauf abzielt, traditionelle, oft männlich dominierte Sprachmuster aufzubrechen und eine inklusivere Form der Kommunikation zu etablieren.

Die deutsche Sprache verwendet bisher meistens den generischen Maskulin , also die männliche grammatische Form. Durch die Praxis des Genderns sollen daher auch die weiblichen und zwischengeschlechtlichen Formen mit einbezogen werden.

Welche Formen des „Genderns“ gibt es?

Die Praxis des Genderns kennt verschiedene Ausdrucksformen:

  1. Beidnennung oder Paarform: Hierbei werden explizit beide Geschlechter genannt, wie in „Ärztinnen und Ärzte“. Diese Form ist zwar inklusiv, kann aber bei häufiger Verwendung als umständlich empfunden werden.
  2. Neutralisierung: Diese Methode setzt auf geschlechtsneutrale Begriffe. Statt „Studenten“ wird beispielsweise von „Studierenden“ gesprochen. Diese Form ist elegant, stößt aber manchmal an die Grenzen der sprachlichen Möglichkeiten.
  3. Verwendung von Genderzeichen: Hier kommen Sonderzeichen wie Sternchen (*), Unterstrich (_) oder Doppelpunkt (:) zum Einsatz, um alle Geschlechter einzuschließen, z.B. „Lehrer*innen“. Diese Variante ist besonders umstritten, da sie die Lesbarkeit beeinträchtigen kann und in der gesprochenen Sprache zu Herausforderungen führt.

Auswirkungen auf die deutsche Sprache

Die Einführung der Gendersprache hat weitreichende Folgen für das Deutsche, im Guten wie im Schlechten:

  • Erhöhte Sichtbarkeit: Durch das Gendern werden alle Geschlechter explizit in der Sprache repräsentiert, was zu einem inklusiveren Sprachgebrauch beitragen kann.
  • Herausforderungen für Lesbarkeit und Verständlichkeit: Kritiker argumentieren, dass gendergerechte Formulierungen Texte oft komplexer und weniger lesefreundlich machen.
  • Barrierefreiheit: Es gibt Bedenken hinsichtlich der Kompatibilität mit Hilfsmitteln für Menschen mit Sehbehinderungen. Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband rät von der Verwendung von Sonderzeichen beim Gendern ab.
  • Sprachästhetik: Viele empfinden die gegenderte Sprache als unnatürlich oder störend, besonders in der gesprochenen Form.
  • Sprachliche Innovation: Das Gendern fördert die Entwicklung neuer sprachlicher Formen und regt zum Nachdenken über Sprache an.

Gendern: Pro und Kontra

Die Debatte um das Gendern bringt tiefe gesellschaftliche Gräben zum Vorschein. Sie berührt Fragen der kulturellen Identität, der Macht und der Rolle von Sprache in der Gesellschaft. Während einige das Gendern als notwendigen Schritt zur Gleichberechtigung sehen, empfinden andere es als Ausdruck einer übertriebenen politischen Korrektheit.

„Gendern ist das Latein der neuen Eliten“ (Philipp Hübl)1

Befürworter des Genderns sehen darin einen wichtigen Schritt zur Gleichstellung der Geschlechter. Sie argumentieren, dass Sprache unser Denken beeinflusst und dass eine geschlechtergerechte Sprache zu einem offeneren Denken über Geschlechterrollen führen kann. Zudem setze das Gendern das im Grundgesetz verankerte Prinzip der Gleichbehandlung um und fördere die Inklusion aller Geschlechter2.

Kritiker hingegen betrachten das Gendern oft als ein elitäres Projekt, das an der Lebensrealität vieler Menschen vorbeigeht. Sie sehen darin eine Form der sprachlichen Bevormundung und eine Einschränkung der Sprachfreiheit. Zudem wird argumentiert, dass gegenderte Texte oft schwerer lesbar und komplizierter seien, was besonders für Menschen mit Leseschwierigkeiten oder Sehbehinderungen problematisch sein kann.

Die rechtliche Lage

Es ist wichtig zu betonen, dass es in Deutschland keine allgemeine gesetzliche Pflicht zum Gendern gibt. Die Verwendung geschlechtergerechter Sprache bleibt in den meisten Fällen eine freiwillige Entscheidung, auch wenn bestimmte Institutionen oder Organisationen eigene Richtlinien dazu haben können3.

Interessant ist jedoch, dass der Rat für deutsche Rechtschreibung 2018 relativ klar eine Empfehlung zur Umsetzung aussprach:

„Die weit verbreitete Praxis, immer von Frauen und Männern in weiblicher und männlicher Form, im Plural oder in Passivkonstruktionen zu schreiben, wird der Erwartung geschlechtergerechter Schreibung derzeit am ehesten gerecht.“4

Fazit

Gendern ist und bleibt ein Thema, das uns weiter beschäftigen wird. Die Debatte darum ist weit mehr als eine linguistische Diskussion. Sie ist Ausdruck eines gesellschaftlichen Wandels und einer zunehmenden Sensibilisierung für Fragen der Gleichberechtigung und Inklusion. Gleichzeitig zeigt sie die Herausforderungen, die entstehen, wenn etablierte Sprachmuster in Frage gestellt werden.

Es ist davon auszugehen, dass das Thema Gendern die deutsche Gesellschaft noch lange beschäftigen wird. Dabei wird es wichtig sein, einen ausgewogenen Diskurs zu führen, der sowohl die Argumente für mehr Gleichberechtigung und Inklusion als auch die Bedenken hinsichtlich Praktikabilität und Sprachästhetik berücksichtigt. Nur so kann eine Lösung gefunden werden, die von einem breiten Teil der Gesellschaft akzeptiert wird und gleichzeitig den Ansprüchen einer modernen, gleichberechtigten Gesellschaft gerecht wird, berücksichtigen.

  1. https://www.wissenschaftskommunikation.de/gendern-ist-das-latein-der-neuen-eliten-71125/ ↩︎
  2. https://boris.unibe.ch/75303/1/Cognitive%20effects%20of%20masculine%20generics%20in%20German.pdf ↩︎
  3. https://www.lpb-bw.de/gendern#c76607 ↩︎
  4. https://www.rechtschreibrat.com/DOX/rfdr_PM_2018-06-08_Geschlechtergerechte_Schreibung.pdf ↩︎

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